Wechselvolle Geschichte

Wechselvolle Geschichte

Die Kurden bilden bedeutende ethnische Volksgruppen in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Ihre Sprache gehört zum nordwestlichen Zweig der iranischen Sprache. Das Siedlungsgebiet der Kurden ist fast so groß wie Deutschland. Es bildet die Landbrücke zwischen dem Kaukasus und dem Persischen Golf. Im Zentrum des Kurdengebietes liegen der östliche Teil des zur Türkei gehörenden Taurusgebirges, wo der Euphrat entspringt und das anatolischen Hochland liegt. Im iranischen Kurdengebiet ragen die westlichen Berge des Zagros-Gebirges auf. Im äußersten Norden ist mit 5.165 Metern der Berg Ararat die höchste Erhebung des Kurdengebietes. Im Süden reicht das Gebiet bis zur mesopotamischen Tiefebene und zur syrischen Wüste. Durch seine Unzugänglichkeit war diese Gebiet über Jahrhunderte von den Handelswegen des Orients ausgeschlossen.

Die Kurden sind eines der ältesten Kulturvölker der Erde. Schon vor über viertausend Jahren wurden Kurden in sumerischen Texten erwähnt. In der Antike kannte man die Kurden unter verschiedenen Namen – auf welche Weise der Name Kurde entstanden ist, ist unklar. Nach neuesten Erkenntnissen sind die Vorfahren der Kurden um 2000 vor Chr. im Zuge von Einwanderungswellen indogermanischer Stämme nach Westen gezogen und vermischten sich im Iran mit der dortigen Bevölkerung. Die Kurden sind deshalb keine Araber, auch keine Turkvölker. Sie sind Kurden.

Mit dem Entstehen des Islams im 7. Jahrhundert nach Chr. wurden die kurdischen Gebiete in das islamisch-arabische Reich eingegliedert, welches sich in kurzer Zeit nach Persien, bis an die Grenzen Indiens, zum Kaukasus, an den westlichen Rand Afrikas und über Spanien ausdehnte. Im Zuge dieser Eingliederung wurden die Kurden islamisiert. Heute sind sie überwiegend Sunniten.

Gegen die Türken, die während der Seldschuken-Dynastie in der Mitte des 12. Jahrhunderts aus den Steppen Zentralasiens in den vorderen Orient eingedrungen waren, führten die Kurden viele Kriege, jedoch nur mit geringem Erfolg.

Beim Mongoleneinfall in Vorderasien zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurden große Teile des Kurdengebietes von den Reiterhorden des Großkhans erobert. Hundert Jahre später unterwarf Timur-i Läng, der aus Usbekistan kommende Herrscher eines Reiches, das sich von Indien bis zum Mittelmeer erstreckte, die Kurden. Der Eroberer löschte viele Dörfer und Städte der Kurden aus.

In den Jahren vom 14. Jahrhundert bis 1922 prägte das Osmanische Reich die Geschichte der Kurden. Im 16. Jahrhundert bildeten die kurdischen Gebiete das Schlachtfeld der Kriege zwischen den osmanischen Sultanen und dem Persischen Reich. Die Kurden waren wieder die Verlierer. Während der 300 Jahre der Osmanenherrschaft über die Kurden kam es in den weitgehend autonomen kurdischen Fürstentümern im Osmanischen Reich und in Persien immer wieder zu Versuchen, sich ganz von der jeweiligen Zentralgewalt zu lösen. Es gab eine Reihe  kurdischer Aufstände, die jedoch alle von den Türken und Persern blutig niedergeschlagen wurden. Im Reich der Osmanen lebten Türken, Araber, Bosnier, Albaner und Kurden nebeneinander. Sie waren allesamt Muslime. Zwischen den kurdischen Herrscherfamilien und dem türkischen Sultanat wurden teilweise Autonomievereinbarungen getroffen. Die Kurden mussten zwar den Treueid auf den türkischen Sultan leisten, brauchten aber dem Reich bis ins 19. Jahrhundert weder Soldaten zu stellen noch Steuern zu zahlen. Der Einfluss der osmanischen Verwaltung war deshalb in den kurdischen Fürstentümern entsprechend gering. Im Osmanischen Reich des 18. Jahrhunderts entstand bei einer Verwaltungsreform sogar zeitweilig eine Provinz mit dem Namen Kurdistan. Auch im Persischen Reich gab es eine eigene Provinz Kurdistan.

Ein gewisser Burgfrieden zwischen dem türkischen Sultanat und den Kurden währte  nur bis ins 19. Jahrhundert. Als der türkische Sultan Anfang des 19. Jahrhunderts die Kurden zwang, ihre ihnen bis dahin gewährte Teil-Autonomie aufzugeben, flammten die Konflikte zwischen den Kurden und Türken wieder auf. Die osmanischen Truppen führten, begleitet von deutschen Beratern, darunter auch der preußische Hauptmann Helmuth von Moltke, brutale Kriegszüge zur Unterjochung der Kurden. Kurdische Aufstände gegen das zunehmend bankrotte und brutale Sultanat setzten sich bis in den Ersten Weltkrieg hinein fort.

Nach der Niederlage des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg wurde den Kurden im Vertrag von Sèvres eine autonome Region in Aussicht gestellt. Ziel der westlichen Alliierten Frankreich und England war es damals vor allem, das osmanische Großreich zu zerschlagen und ihren Interessen entsprechend aufzuteilen. Die Türkei musste auf alle nichttürkischen Provinzen verzichten. Das betraf Albanien und Teile des neu zu schaffenden Staates Jugoslawien sowie Nordgriechenland und Makedonien. Das nordafrikanische Tripolis wurde den Italienern zugesprochen. Das arabische Küstenland vom Hedschas bis zum Jemen beanspruchten die Briten, ebenso Mesopotamien. Die bisherige osmanische Hoheit über Ägypten übertrugen die Engländer ebenfalls auf sich selbst. Syrien wurde französisches Protektorat. Aber ein Teil des auf dem Gebiet der Türkei liegenden Anatoliens war für ein autonomes Kurdengebiet vorgesehen.

Entsprechend groß waren die Hoffnungen der Kurden, als der alliierte Hohe Rat am 11. Mai 1920 der osmanischen Delegation in Sèvres, einem Außenbezirk von Paris, den ausgehandelten Vertrag überreichte. Er sah in zwei Paragraphen ein kurdisches Autonomiegebiet in der Türkei mit kultureller und politischer Selbstverwaltung vor.

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Gebietsabtretungen des Osmanischen Reiches und die Besatzungszonen nach dem Vertrag von Sèvres (gestrichelt – versprochenes Kurdengebiet)

Gegen die Bestimmungen des Vertrages und die territorialen Verluste kam in der Türkei Widerstand auf. Im türkischen Unabhängigkeits- und Befreiungskrieg von 1919 bis 1923 unter Mustafa Kemal Pascha (Atatürk) kämpften die Kurden sogar an der Seite der Türken gegen die Besatzungsmächte. Atatürk hatte sich bei der Suche nach Unterstützung in seinem Kampf zur Befreiung der Türkei von den Briten und Griechen an die kurdischen Stammesführer um Hilfe gewandt. Nach dem Sieg konnte die Türkei am 24. Juli 1923 im Vertrag von Lausanne die Bestimmungen aus dem Vertrag von Sèvres revidieren. Was den Kurden durch die Siegermächte im Vertrag von Sèvres versprochen worden war, wurde jedoch im Vertrag von Lausanne ersatzlos gestrichen. Damit waren die Kurden wieder die Verlierer. Denn die am 29. Oktober 1923 von Kemal Pascha ausgerufene Republik Türkei erkannte die Kurden nicht einmal als ethnische Minderheit an. Die türkische Regierung leugnete schließlich sogar die Existenz der Kurden. Sie bezeichnete die Angehörigen dieses Jahrtausende alten Volkes nur noch als „Bergtürken“, verbot den Kurden die eigene Sprache und versuchte auf diese Weise ihre Kultur auszulöschen. Die Welt-öffentlichkeit nahm davon kaum Notiz. Die Westmächte waren an den Kurden nicht interessiert. Ihr Interesse galt damals schon hauptsächlich den Erdöllagerstätten im Orient. Die Kurden ließen sich dennoch immer wieder für die Interessen anderer Mächte missbrauchen, in der Erwartung, als Lohn ihren eigenen Staat zu bekommen, was sich jedoch als Illusion erwies.

Seit über einem halben Jahrhundert kämpfen die Kurden nun auch mit Gewalt um ihre nationalen Rechte. Mehrere begrenzte Aufstände der Kurden in der Türkei, wie 1925 der Scheich-Said-Aufstand, 1930 der Ararat-Aufstand und 1938 der Dersin-Aufstand wurden von der klar überlegenen türkischen Armee blutig und grausam niedergeschlagen. Und seit 1984 dauert nun schon der Kampf der türkischen Armee gegen die PKK (Kurdische Arbeiterpartei), eine sozialistische militante Untergrundorganisation der Kurden, in Ostanatolien und der gesamten Türkei an.

Gemäß der nationalistischen Politik der türkischen Regierungen wurden die Kurden in der Türkei bis in die frühen neunziger Jahren schlicht ignoriert und zur Assimilation gedrängt. Mit dem Entstehen der PKK wurde die kurdische Frage als Terrorproblem bezeichnet und entsprechend gewaltsam waren die Mittel zu ihrer Lösung.

Es gibt bis heute keine genaue geographische Definition von Kurdistan. Die Staaten, zu deren Territorien die kurdischen Gebiete gehören, versuchen mit allen Mitteln, eine solche Abgrenzung und Begriffsbildung zu verhindern. Doch auch wenn versucht wird, die Existenz Kurdistan zu leugnen, existiert dennoch seit über tausend Jahren eine Region dieses Namens.

Quellen:

Leukefeld, K.: Geopolitische Doppelmoral. Junge Welt, 20.11.2020

Leukefeld, K.: Zerstört und geplündert. Junge Welt, 20.11.2020

Rudolph, R., Markus, U.: Warum Syrien. Berlin 2016

 

Vertiefende Artikel für den Interessierten...

Teil III - Der Traum vom syrischen Kurdenstaat

Teil IV - Zweckbündnisse

 

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