US Flugzeugträger im Schwarzen Meer

„19fortyfive“, ein dem Pentagon nahe stehendes Portal, veröffentlichte einen interessanten Artikel des Militärexperten Stavros Atlamazoglu. Er schreibt: „Die Flugzeugträgergruppe „Harry S. Truman“ befindet sich derzeit im Mittelmeer und könnte in kurzer Zeit in Reichweite der Ukraine sein.“ Neben dem Flugzeugträger umfasst die Armada den Raketenkreuzer „San Jacinto“, die Zerstörer „USS Bainbridge“, „USS Cole“, „USS Gravely“, „USS Jason Dunham“ sowie die norwegische Fregatte „Fridtjof“. Obwohl Biden sagte, Washington werde Kiew keine direkte militärische Unterstützung gewähren, wurde auch die Marine-Landungsgruppe „Essex“, die sich jetzt am Persischen Golf befindet, in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Sie umfasst den gleichnamigen Essex-Hubschrauberträger der „Wasp-Klasse“ sowie die Landungsschiffe „Portland“ und „Pearl Harbor“ und hat ungefähr dreitausend Elite-Soldaten an Bord. Außerdem befinden sich derzeit zur „Verteidigung der Ukraine“ insgesamt neun Staffeln und Geschwader der US-Luftwaffe und der US-Marine im Alarmzustand, was angeblich die Vorteile der russischen Luftwaffe und Marineflieger neutralisieren soll. Kurz gesagt, alles ist bereit.

Laut dem Autor von „19fortyfive“ ist die anhaltende Präsenz der Flugzeugträgergruppe „Harry S. Truman“ in der Region mehr eine Demonstration der Unterstützung für die NATO-Verbündeten und die Ukraine als eine Androhung von Gewalt gegen Russland. Und der Autor gibt zu, dass die Russen keine Angst vor der Flugzeugträgergruppe haben, die zurzeit im Ionischen Meer zwischen Griechenland und Italien ankert.

Eine andere Sache wäre es, wenn sich ein Flugzeugträger der Vereinigten Staaten direkt im Schwarzen Meer befinden würde. Dann wäre Moskau wirklich besorgt. Aber warum sollte Russland besorgt sein, wenn es das Übereinkommen von Montreux gibt, das im Juli 1936 unterzeichnet wurde? Dieses Abkommen begrenzt die Durchfahrt von Kriegsschiffen mit einer Wasserverdrängung von über 15.000 Tonnen durch die Dardanellen und den Bosporus, sofern die Schiffe zu den Flotten von Nicht-Schwarzmeerländern gehören. Die „Harry S. Truman“ hat eine Wasserverdrängung von 100.000 Tonnen.

Das Nato-Mitglied Türkei hat ständig erklärt, am Montreux-Abkommen buchstabengetreu festzuhalten. Aber das Thema ist damit nicht erledigt. Die USA üben Druck auf die Türken aus und fordern eine Neufassung des Vertrages, der die Durchfahrt durch die Dardanellen und den Bosporus regelt.

Der Analyst Aron Lund vom schwedischen Institut für Verteidigungsforschung erinnert daran, dass die türkischen Behörden am 5. April 2021 zehn pensionierte Admirale festgenommen haben, die vor einem Ausstieg aus der Montreux-Vereinbarung warnten. Für Ankara bedeutet „Montreux“ mehr als für die anderen Unterzeichner. In den Jahren 2014-2019 wurden jährlich durchschnittlich 42.258 Schiffpassagen durch die Dardanellen und den Bosporus registriert, von denen die überwiegende Mehrheit Handelsschiffe waren. Wenn alle wie für die Passagen durch den Suezkanal gezahlt hätten, gäbe es jetzt keine Wirtschaftskrise in der Türkei. Wie in einem Chatham-House-Bericht aus dem Jahr 2017 festgestellt wurde, sind die Meerengen einer der wichtigsten globalen Korridore für Lebensmittelexporte. Über sie werden bis zu 12 Prozent des Weltgetreidehandels abgewickelt, darunter ein Fünftel des Weizenhandels weltweit.

Die Amerikaner haben wiederholt betont, dass die Vereinigten Staaten von Amerika kein Unterzeichner des Vertrages von Montreux sind, aber den Vertrag widerwillig respektieren. Doch die Zeiten ändern sich: „Washington und seine NATO-Verbündeten haben das Abkommen von Montreux während des Kalten Krieges unterstützt, da es Moskau nicht erlaubte, große Schiffe der sowjetischen Schwarzmeerflotte schnell ins Mittelmeer zu verlegen“, sagt Aron Lund. „Nach Ende des Kalten Krieges haben sich Rumänien und Bulgarien, offenbar nicht ohne Hilfe der USA, für eine Revision des Vertrages ausgesprochen, um nach ihrer Aufnahme in die NATO einen flexibleren Zugang ins Schwarze Meer zu gewährleisten.“

Es gab auch eine Phase, in der Ankara bereit war, das Montreux-Abkommen aufzugeben, aber Stalin drohte damals sofort mit Krieg, was die Türken für viele Jahrzehnte zur Besinnung brachte. Im Großen und Ganzen trat die Türkei ja aus Angst vor einem Konflikt mit der UdSSR der NATO bei. Heute liegen die Machtverhältnisse im Schwarzen Meer auf Seiten der Russischen Föderation, aber alles würde sich ändern, wenn die USA Flugzeugträger und strategische U-Boote dorthin schicken könnten.

Auf jeden Fall halten die Amerikaner trotz der russischen Küsten-Anti-Schiffs-Raketen-Komplexe auf der Krim an ihrem Standpunkt fest. Russland und die Türkei tauschten 2015 und Anfang 2016, als die Spannungen nach der russischen Hilfe in Syrien eskalierten, Noten über die Meerengen aus. Schon damals machten die Türken auf die Nuancen von „Montreux“ aufmerksam, an die sich die Russen unbedingt erinnern müssen. Der Artikel 28 erlaubt es jeder Vertragspartei, einen Antrag auf Aufhebung des Übereinkommens zu stellen. In diesem Fall müssen die Parteien zusammenkommen, um ein neues Abkommen auszuhandeln, aber in jedem Fall wird dann das Abkommen zwei Jahre nach der Aufhebungserklärung auslaufen. Aber der Artikel 1 über den „Grundsatz der freien Durchfahrt von Schiffen“ muss trotzdem auf unbestimmte Zeit in Kraft bleibt.

Darüber hinaus sieht Artikel 29 einen Mechanismus für regelmäßige Änderungen des Abkommens (immer nach fünf Jahren) vor, der mit dem Inkrafttreten des Übereinkommens im Jahr 1936 beginnt. Die aktuelle Fünfjahresfrist läuft am 9. November 2026 aus, ein Änderungsvorschlag wäre spätestens im August 2026 fällig. Bis zu diesem Zeitpunkt verspricht Erdogan, den Bau des „Bosporus-Istanbul-Kanals“  abzuschließen.

Nun zu der Frage, ob ein amerikanischer Flugzeugträger sich den Küsten der Krim nähern kann: Ja, wenn die Artikel 14 und 18 geändert werden, die die Durchfahrt von Kriegsschiffen durch die Dardanellen und den Bosporus betreffen. Für die Änderung dieser Artikel ist aber die Zustimmung von drei Vierteln der Unterzeichner von „Montreux“, darunter drei Vierteln der Küstenstaaten des Schwarzen Meeres, von denen einer die Türkei sein muss, erforderlich.

Sollten diese Artikel geändert werden, würde sich Moskau in Isolation befinden, während Ankara, das ein Vetorecht hat, indirekt hohe und sogar unerschwingliche Transittarife durchsetzen könnte. Zum Beispiel Forderungen für eine Umweltsteuer, Unfallversicherung oder für die Eskorte durch Schiffe türkischer Sicherheitskräfte.

Im Allgemeinen kann die Türkei die Konvention nicht allein ändern, hat aber das Recht, jeden Vorschlag anderer Montreux-Mitglieder zu blockieren. Allerdings birgt die Neuunterzeichnung des Übereinkommens für Ankara derzeit mehr Risiken als Vorteile. Aber Erdogan kann angesichts der in den Abgrund stürzenden türkischen Wirtschaft ohne weiteres der Überarbeitung der Artikel 14 und 18 im Gegenzug für wirtschaftliche Nothilfe zustimmen. Im Dezember 2019 hat Erdogan eine für Russland gefährliche Erklärung zum politischen Aspekt des im Bau befindlichen Istanbul-Kanals abgegeben. Er sagte: „Ich benutze die Änderung von Montreux jetzt nicht, aber wenn die Zeit gekommen ist, werden wir das auch nutzen.“ Daher ist es möglich, dass in einigen Jahren tatsächlich zu hören ist: „Ein US-Flugzeugträger ist zur Küste der Krim unterwegs, die Türkei hat grünes Licht für den Transit durch den Bosporus oder den Istanbuler Kanal gegeben.“

(Quelle: Sitnikov, A., Swobodnaja Pressa, 07.01.21, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

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