F-35 Jagdbomber gegen Russland?

Im Zusammenhang mit der Donbass-Krise legen Russland und die USA hastig immer mehr Argumente ihrer Überlegenheit auf den Tisch. Seitens der Amerikaner wurden Stealth-Flugzeuge des Typs F-35 „Lightning II“ des 388. und des 419. Jagdgeschwaders der US-Luftwaffe kürzlich eilig über den Atlantik auf den Luftwaffenstützpunkt Spangdahlem in Deutschland verlegt. Bei dieser Gelegenheit beeilte sich das amerikanische Magazin „The National Interest“, siegessicher zu schreiben: „Der Einsatz der F-35 könnte für die NATO-Staaten ein erheblicher Vorteil bei einem Vordringen russischer Bodentruppen sein. … Die Präsenz von F-35 im Gefecht verändert das Kräfteverhältnis und die strategischen Berechnungen erheblich.“ So wird den zwei Geschwadern, die nur 1.500 Kilometer von den Grenzen Russlands und Weißrusslands entfernt in Deutschland gelandet sind, auf der anderen Seite des Ozeans im Voraus die Rolle eines entscheidenden Trumpfs in einem möglicherweise größeren bewaffneten Konflikt in Europa zugewiesen.

Das ist jedoch sehr zweifelhaft, denn dieses Flugzeug hat zu viele Schwachstellen bei der Konfrontation mit den neusten russischen Luftverteidigungssystemen, vor allem mit den Luftverteidigungssystemen S-400 „Triumph“, die bereits in Weißrussland, auf der Krim und in der Region Kaliningrad stationiert wurden. Trotz des starken Lobbydrucks des militärisch-industriellen Komplexes der USA, der bereits 1,5 Billionen Dollar für das Programm zur Produktion dieser Jäger ausgegeben hat, sind in Washington und im Ausland zunehmend die gleichen Einschätzungen zu hören. Im Januar 2019 schimpfte der stellvertretende Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten, Patrick Shanahan, in einem Interview mit der Boulevardzeitung „Politico“ in unanständigsten Worten über die Kampffähigkeiten der F-35. Und zwei Jahre später, im Januar 2021, nannte der frühere kommissarische Leiter des US-Verteidigungsministeriums, Christopher Miller, die F-35 „Lightning II“: „ein Stück Scheiße“.

Woher kommen solche Beurteilungen? Dazu gibt es viele rein technologische und konstruktive Gründe. Angefangen von der Unmöglichkeit, ohne Nachbrenner mit Überschallgeschwindigkeit zu fliegen, geringer Manövrierfähigkeit und Überlebensfähigkeit bis hin zu Problemen mit der Luftbetankung, die mehr als einmal zu einem plötzlichen und kritischen Stopp der Kraftstoffübernahme im Flug führten. Insgesamt deckte das US Government Accountability Office (GAO), das 2018 an der Überprüfung des Flugzeugbauprogramms der F-35 beteiligt war, 966 erhebliche Mängel an diesem Tarnkappenjäger auf. Am schlimmsten ist, dass laut GAO-Experten, die wichtigsten von ihnen in den kommenden Jahren nicht beseitigt werden können.

Aber anscheinend ist das nicht so schlimm für das Pentagon und die NATO. Die amerikanische Ausgabe von „Military Watch“ schrieb kürzlich, dass die Piloten von F-35-Maschinen bei einer Konfrontation mit den Flugabwehr-Raketensystemen S-500, die gerade in Russland in Dienst gestellt werden, bisher völlig unbekannte Probleme erwarten. Hier wird sich der sehr kleine Einsatzradius der F-35 bemerkbar machen. Für alle Modifikationen dieses Flugzeuges sind es nur 800 bis 1.100 Kilometer. Zum Vergleich: Bei der russischen Su-35 sind es 1.500 Kilometer.

Wenn sich die von F-35 anzugreifenden Objekte in einer Entfernung befinden, die größer ist als ihr taktischer Radius, sind eine oder mehrere Luftbetankungen unerlässlich. Tankflugzeuge, die ihnen in diesem Fall auf halbem Weg entgegenkommen müssen, werden jedoch keine Stealth-Vorteile haben. Denn in der Regel sind die riesigen Tanker für russisches Luftüberwachungsradar leicht auszumachen. Daher kann eine S-400 oder S-500 ihr Erscheinen in der Luft fast von dem Moment an beobachten, in dem sie vom Flugplatz abheben. Dann ist der Vorgang des Betankens von Tarnkappen-Jägern aus Tankflugzeugen kein Geheimnis mehr, und die russischen Luftverteidigungssysteme haben genügend Zeit, sich auf ihre Abwehr vorzubereiten.

Das neueste weitreichende Luftverteidigungssystem S-500 hat jedoch einen weiteren taktischen Vorteil, warnt „Military Watch“. Es ist in der Lage, den angreifenden F-35 die Kommunikations- und die Navigationsmöglichkeiten zu nehmen. Zur S-500-Munition gehört die Ultra-Langstrecken-Abfangrakete 77N6-N „Nudol“, die bereits den Spitznamen „Russian THAAD (Terminal High Altitude Area Defense)“ trägt. Das ist eine Waffe, die speziell für den Einsatz gegen Militärsatelliten im nahen Weltraum entwickelt wurde. Das heißt, für die Satelliten, die das Territorium Russlands auskundschaften und für die gegnerischen Raketen und Flugzeuge, auch für die F-35, die Koordinaten der Ziele übermitteln. Das System S-500 kann Ziele im Orbit in einer Entfernung von bis zu 2.000 Kilometern erkennen. Die „Nudol“-Rakete hat Hyperschallfluggeschwindigkeit in der Größenordnung von 3.000-3.500 Metern pro Sekunde (die Flugabwehrraketen des Luftverteidigungssystem S-400 haben nur eine Geschwindigkeit von 1.900-2.100 m/s). Dies ermöglicht es, den Feind nicht nur auf Kollisionskurs zu bekämpfen, sondern auch in Höhen von 35 bis 55 Kilometern, im oberen Bereich der Stratosphäre.

Vom amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Spangdahlem aus, der von den Grenzen Russlands und Weißrusslands etwa 1.500 Kilometer entfernt ist, können Ziele in beiden Ländern von den F-35 nur erreicht werden, wenn eine Luftbetankung erfolgt. Die erste Betankung müsste auf halbem Weg irgendwo über Polen durchgeführt werden. Wenn wir davon ausgehen, dass dieser Prozess von russischen S-400 und S-500 genau erfasst werden kann, haben die Amerikaner keine Chance, den Angriff durchzuführen. Denn ihre Tankflugzeuge können in einer Entfernung von bis zu 500 Kilometern von einer Langstrecken-Flugabwehrrakete SAM 9M96E/DM abgeschossen werden.

Tatsache ist aber, dass das erste S-500-System erst im Herbst letzten Jahres in Dienst gestellt wurde. Bisher wurde nur eine einzige solche Brigade an die Truppen übergeben. Und das sogar mit der Ausrüstung, die an staatlichen Tests auf dem Trainingsgelände von „Kapustin Yar“ teilgenommen hatte. Am 13. Oktober berichtete TASS, dass diese Brigade im Gebiet Moskau stationiert wurde.

Gemäß dem Vertrag, den das russische Verteidigungsministerium mit dem Werk in Nischni Nowgorod unterzeichnet hat, wird die zweite S-500-Brigade in der ersten Hälfte des Jahres 2022 der Truppe übergeben. Insgesamt stellte das russische  Militär Mittel bereit, um in den kommenden Jahren zehn Brigaden mit S-500 auszurüsten. Diese Arbeiten sollen in raschem Tempo erfolgen. Aber die amerikanischen F-35 „Lightning II“ des 388. und 419. Jagdgeschwaders der US Air Force bereiten sich schon heute darauf vor, von Deutschland aus Russland anzugreifen. Zumindest hat dafür der russische Generalstab noch eine Option: Die erste Brigade des Systems S-500, die in der Nähe von Moskau stationiert wurde, ist mobil. Daher kann sie innerhalb weniger Tage auf die Eisenbahn verladen und in Richtung der westlichen Grenzen Russlands oder nach Weißrussland verlegt werden. Minsk, so scheint es, wird jetzt nichts dagegen haben. Eine Brigade ist  nicht viel. Aber zusammen mit den anderen russischen Luftverteidigungskräften könnte eine solche Variante den Amerikanern zusätzlichen Grund zum Nachdenken geben.

 

(Quelle: Ischenko, S., Swobodnaja Pressa, 20.02.22, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

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